Internetsperren gegen Urheberrechtsverletzer auch für Deutschland?

heise online:
Während das Hadopi-Gesetz gegen Filesharing in Frankreich nach dem Verfassungsgerichtsurteil gegen Internetsperren vor einer Neuauflage steht, ist auch in Deutschland die Einführung von Schnellverfahren und Internet-Entzug für Filesharer in der Diskussion. Auf einer Veranstaltung des Kölner Forum Medienrecht lieferten sich Juristen und Wirtschaftsvertreter am Mittwoch einen harten Schlagabtausch über die Zulässigkeit solcher Maßnahmen.
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Der Münsteraner Informationsrechtler Thomas Hoeren sieht Deutschland schon auf dem halben Weg bei der Einführung eines solchen Modells. So sei mit der Verabschiedung des Zugangserschwerungsgesetzes zur Blockade von Kinderporno-Seiten der erste Schritt gemacht worden, um die Provider zur Durchsetzung von privatwirtschaftlichen Ansprüchen einzuspannen. „Es ist ganz klar: Die Musikindustrie hat hier gewonnen“, sagte Hoeren. „Wir haben es mit bestochenen Abgeordneten und mit bestochenen Gutachtern zu tun – eine offene Diskussion ist damit nicht zu erwarten“. Dieser Vorwurf wurde von EMI-Manager Stephan Grulert zurückgewiesen: „Wir sind längst nicht so stark organisiert, wie man sich das so vorstellt“. Die Musikindustrie sei in Wahrheit relativ ratlos angesichts der Internet-Piraterie, man sehe in dem französischen Weg aber ein „charmantes Modell – wenn auch eins mit großen Problemen“.

Hoeren machte starke rechtliche Bedenken gegen die sogenannte „graduated response“ geltend, bei der eine Behörde oder eine Clearing-Stelle Internet-Nutzer bei Urheberrechtsverstößen zunächst verwarnt und nach dem dritten Verstoß den Internet-Anschluss kappt. So sei zunächst zu prüfen, ob es ein Grundrecht auf einen Internet-Anschluss gebe. Mit dem Three-Strikes-Modell werde die Unschuldsvermutung umgedreht: „Es kann nicht sein, dass eine wild gewordene Behörde das allein beschließt“, sagte Hoeren. Die Kappung des Internet-Anschlusses sei mit deutschem Recht zudem nicht vereinbar. Hoeren sieht darin eine Doppel-Bestrafung, da die straf- und zivilrechtliche Verfolgung der Filesharer keineswegs ausgeschlossen werde. Auch der Umgang mit den IP-Daten sei höchst brisant. Hier solle die Musikindustrie den neu geschaffenen zivilrechtlichen Auskunftsanspruch nutzen, statt immer neue Maßnahmen zu fordern. Dass Providern verboten werde, mit gekappten Kunden einen neuen Vertrag abzuschließen, sei datenschutzrechtlich nicht machbar.

Widerspruch zu Hoerens Positionen kam vom Hamburger Jura-Professor Karl-Heinz Ladeur: Der Widerstand gegen das Modell baue einen Popanz auf, dem von Hoeren vertretenen „nomadierenden Individualismus“ müssten Grenzen aufgezeigt werden. Zwar sei der zivilrechtliche Auskunftsanspruch geschaffen worden, die Durchsetzung aber durch das gerichtliche Verfahren stark erschwert worden: „Man kann sich kaum vorstellen, dass man solche Verfahren en masse durchführt.“

Ladeur hat ein Modell entwickelt, mit dem ein Three-Strikes-Verfahren auch in Deutschland einführbar wäre – nach Auffassung des Juristen sind dazu nicht einmal Gesetzesänderungen notwendig. So sei die Erhebung von Verkehrsdaten von Filesharern zwar durch das Grundgesetz eingeschränkt, in diesem Fall aber durch das Recht auf Eigentum gedeckt. Die notwendige Rechtsgrundlage zur Feststellung der IP-Adressen sieht er in Paragraph 100 des Telekommunikationsgesetzes, das den Providern erlaubt, Verkehrsdaten bei Missbrauch von Telekommunikationsdiensten zu erheben. Der illegale Austausch von urheberrechtlich geschützten Daten stellt nach Ladeurs Interpretation bereits einen solchen Missbrauch dar – vergleichbar etwa mit belästigenden Anrufen. „Meiner Ansicht nach müssten Provider dies in ihre AGB aufnehmen“, sagte Ladeur.

Da die IP-Adressen dennoch nicht ohne Richterbeschluss an Rechteinhaber weitergegeben werden dürfen, rät Ladeur zur Einrichtung einer Clearing-Stelle unter Beteiligung der Provider, die ertappte Nutzer eigenständig verwarnt. Um ungerechtfertigte Maßnahmen auszuschließen und gleichzeitig den Datenschutz zu wahren, sollen Name und Adresse des Nutzers nur verschlüsselt hinterlegt werden – der Nutzer könne sich nach einer Information durch den Provider unter einem Pseudonym gegen die erhobenen Vorwürfe wehren. „Die Eingriffstiefe dieser Maßnahmen ist aus Sicht der Betroffenen denkbar gering“, erklärte Ladeur. So sei davon auszugehen, dass die meisten Internet-Surfer durch die ersten Benachrichtigungen abgeschreckt würden und illegale Downloads einstellten. Musik-Manager Grulert stützte diese Auffassung: „Wir haben noch nie jemanden zum zweiten Mal abgemahnt.“

Ladeur sieht die Internet-Provider in der Pflicht, da im Sinne des Bürgerlichen Gesetzbuches als Störer anzusehen seien – erntete von den anwesenden Juristen aber starken Widerspruch. „Eine Alternative wäre die Schaffung einer gesetzlichen Grundlage, die die Provider zur Durchsetzung der Maßnahmen zwingt“. Das Ergebnis sei dann eine „regulierte Selbstregulierung“.

Einen Einblick in die französische Gesetzgebung bot Sylvie Nérisson vom Max-Planck-Institut für geistiges Eigentum in München. So habe die französische Regierung schon seit 2006 versucht, entsprechende Gesetze einzuführen, sei aber immer wieder an juristischen Problemen gescheitert. Zum Beispiel ist bei einem Download nicht festzustellen, welche Person letztlich hinter der IP-Adresse steckt. So könnten ganze Familien vom Internet abgeschnitten werden, weil ein Kind etwas heruntergeladen habe. Deshalb sehe das französische Gesetz nicht etwa die Bestrafung für einen illegalen Download vor, sondern der Anschlussinhaber werde wegen der Vernachlässigung seiner Sicherungspflichten belangt. Die Kappung des Internet-Anschlusses ist für die französische Juristin aber ein nicht nachzuvollziehender Schritt: „Es wäre eine Entartung des Urheberrechts, wenn auf seiner Grundlage der Zugang zu Werken verwehrt wird. In dem Recht geht es darum, dass die Künstler entlohnt werden.“

[Update]:
CDU/CSU haben übrigens die Forderung nach Internetsperren für Urheberrechtsverletzer aus dem Entwurf für ihr Bundestagswahlprogramm erst einmal wieder gestrichen. Die Formulierung soll durch die allgemeine Klausel „Rechtsverletzungen werden wir effektiv unterbinden“ ersetzt werden.

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