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Breitseite vom Bundesverfassungsgericht

 

Breitseite vom Bundesverfassungsgericht

Publiziert 27. Februar 2014 | Von Piratos

 

Das war schon eine große Überraschung, die am Freitag vorletzter Woche im Verhandlungssaal des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) verkündet wurde. Und was dort zu vernehmen war, sollte uns Piraten einigermaßen beunruhigen.
 
Was war passiert?
Die Europäische Zentralbank (EZB) hatte im September 2012 mit ihrem »OMT-Beschluss« [1] festgelegt, dass sie gewillt ist, Staatsanleihen in unbegrenzter Menge anzukaufen, falls ein Land zu hohe Zinsen zahlen muss. Denn durch Ankäufe von Staatsanleihen steigt ihr Preis, was wiederum dazu führt, dass die Zinsen dafür sinken. [2]
So weit, so klar – aber an dieser Stelle soll nicht unerwähnt bleiben, dass diese Maßnahme hauptsächlich einigen Geschäftsbanken und nicht nur den Staaten zugute kommt.
 
Warum ist das so?

In Art. 123 des Vertrages von Lissabon wird der »unmittelbare« direkte Ankauf von Staatsanleihen vom Staat explizit ausgeschlossen [3]. Die EZB darf Staatsanleihen also nicht direkt von Staaten kaufen.Daher würde sie im Rahmen des OMT-Beschlusses nur Papiere kaufen, die bereits in den »Märkten« im Umlauf sind [4].

Von den Staaten können nur einige wenige Geschäftsbanken Anleihen kaufen [5]. Diese kaufen also die Staatsanleihen zum Emissionskurs und verkaufen sie im Anschluss teurer an die EZB.
Am Ende sieht es dann so aus, als hätten sich die Staaten günstig finanziert, tatsächlich sind aber die Geschäftsbanken nur für das Durchreichen fürstlich entlohnt worden. Über die Sinnhaftigkeit bzw. Zielgenauigkeit einer solchen Maßnahme darf natürlich gestritten werden. Jedenfalls wirkt Art. 123 der EU-Verträge als eine Art von der Zentralbank gefördertes Konjunkturprogramm für diese Geschäftsbanken.
In anderen Währungsräumen (z.B. USA, UK, Japan) dürfen die Zentralbanken dem Staat die Anleihen direkt abkaufen. Der hohe Preis und der damit verbundene niedrige Zinssatz kommen dort direkt den Staaten zugute und nicht in erster Linie den »Märkten«. Im Vergleich dazu wirkt Art. 123 kontraproduktiv, wenn man den Euro durch den Kauf von Staatsanleihen retten will.
Aber zurück zum OMT-Beschluss der EZB: Oberflächlich betrachtet ist er eine Rettungsaktion wie sie auch andere Zentralbanken in der weltweiten Finanzkrise genutzt haben. Nur haben wir in Europa den Sonderfall, dass der Wirkungsbereich der Zentralbank nicht innerhalb eines einheitlich rechtlichen Raums liegt.
Europa ist aktuell noch ein Staatenbund, und die Europäische Zentralbank ist nach den EU-Verträgen nur für Geldpolitik zuständig. Staatsfinanzierung – selbst wenn sie durch den OMT-Beschluss unbegrenzt »über die Märkte« passieren würde – ist ebenfalls in Art. 123 der EU-Verträge ausgeschlossen [4].
Das Bundesverfassungsgericht stellte nun am Freitag fest, dass vom OMT-Beschluss der EZB eine Bedrohung des deutschen Haushalts ausgeht. Dieses Ankaufprogramm der EZB für Staatsanleihen notleidender Staaten sei wohl eine »offensichtliche und bedeutsame Kompetenzüberschreitung« der Zentralbank und nicht mit den europäischen Verträgen vereinbar [6].
Der Faktencheck zeigt, wie ungenügend das Bundesverfassungsgericht in finanziellen Dingen beraten wird, denn auch beim OMT-Anleihen-Ankaufprogramm kauft die EZB lediglich Anleihen an »den Märkten« auf. Inwiefern das für den deutschen Haushalt bedeutsam sein soll, muss noch – möglicherweise vor dem Europäischen Gerichtshof – erklärt werden, denn gemäß den Statuten der EZB wie auch den Regularien der Bundesbank müssen eventuell anfallende Verluste der Zentralbank nicht ausgeglichen werden [7]. Eine Tatsache, die leider weithin ignoriert wird, selbst vom renommierten IFO-Institut [8].
Das Verfassungsgericht sieht schlussendlich das Ankaufprogramm der EZB »als eigenständige wirtschaftspolitische Maßnahme«, was »offensichtlich« die Kompetenzverteilung der EU-Verträge verletzt [9].
Ein Verfassungsdefizit in Europa
Übersetzt in Piratendeutsch heißt die Entscheidung vom letzten Freitag soviel wie »ein Sturm zieht auf«, denn das Verfassungsgericht streut Salz in die Wunde der völkerrechtlichen EU-Verträge. Nun rächt sich, dass bei der verfassungsrechtlichen Konstruktion der EU gepfuscht wurde. Hätten die Politiker Europas mal auf die Piraten gehört ;) [10]!
Das Bundesverfassungsgericht bezweifelt zwar, dass der OMT-Beschluss den Lissaboner Verträgen genügt, überträgt die Entscheidung darüber aber an den Europäischen Gerichtshof. Ein echter »Schwarzer Peter«, den es da weiterschiebt, und zieht sich so zunächst elegant aus der Affäre.
Ob sich jedoch die EZB durch einen entsprechenden Beschluss des EuGH binden lassen würde – ganz unabhängig davon, dass die deutsche Regierung diese Zuständigkeit anerkennt – sehe ich als ungeklärt an. Die EZB hat weitgehende Befugnisse in allem, was sie selbst als »Geldpolitik« definiert, und auch die Einzelstaaten haben ein Wörtchen mitzureden. Und leider gibt es keine europäische Verfassung, die solche Fragen zweifelsfrei und für alle Beteiligten bindend entscheidet.
Sieht nun der EuGH den OMT-Beschluss ebenfalls im Widerspruch zu Art. 123 der Lissabon-Verträge, und ignoriert die EZB dies gegen das deutsche Votum und bleibt bei diesem Beschluss, steht die Bundesregierung vor einem Scherbenhaufen.
Denn ein weiteres Mal hätte – diesmal über Bande – das Bundesverfassungsgericht eine Regierung Merkel in Zugzwang gebracht.
Ohne Nachbesserungen an den Lissabon-Verträgen stünde die Ankündigung der EZB, zur Kursstabilisierung unbegrenzt Staatsanleihen zu kaufen, im Widerspruch zu einem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts.
Ich bin daher sehr gespannt, wie sich die Bundesregierung hier aus der Affäre ziehen will. Denn es war ja gerade der Egoismus deutscher Interessen, auf den das Verbot der direkten Staatsfinanzierung in Art. 123 zurückgeht. Und eine Streichung dieses Verbots wäre – selbst wenn ihr eine Reihe von Euroländern durchaus zustimmen würden – in Deutschland zurzeit nicht durchsetzbar.
Wir befinden uns also in einem europäischen Verfassungsdilemma, weil wichtige europäische Entscheidungen zum Spielball nationaler Interessen werden.
Die Europäische Union – und mit ihr der Euroraum – braucht dringend eine Verfassung, die klare Zuständigkeiten festlegt und vor allem keinen Raum für nationale Egoismen der Einzelstaaten lässt.
@PiratosMuc

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