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Populäre Irrtümer: Die Schuldenbremse

Populäre Irrtümer:

Die Schuldenbremse

Publiziert 26. Oktober 2013 | Von Patrik Pekrul

Dieser Beitrag ist Teil unsere kleinen Reihe “Populäre Irrtümer”.

 

Aktuell ist es groß in Mode, ausgeglichene öffentliche Haushalte zu fordern. Dies beruht auf der Ansicht, dass ein Staat überschuldet sein könnte und dieses dadurch vermeiden müsse, indem er seine Ausgaben weitestgehend mit Steuereinnahmen deckt. Dahinter steckt der populäre Irrtum, dass es sich bei dem Staat um eine Art Unternehmen handelt.

In der Tat ist dies aber nicht so.

Weder kann ein Staat wirklich pleite gehen – sprich illiquide werden – noch ist es primäre Aufgabe der Steuern, den Staat zu finanzieren.

Faktisch kann sich ein Staat immer finanzieren, wenn er sich nicht freiwillig darauf beschränkt, seine “Schulden” bei Geschäftsbanken aufzunehmen. Dass es in der Eurozone so ist, ist aber weder ein Naturgesetz, noch ein göttliches Gebot oder gar ein Sachzwang. Es ist eine rein willkürliche Entscheidung der Politik.

Andere Wirtschaftsräume, wie bspw. die USA oder Japan, handhaben dies anders und sind deshalb weit weniger abhängig vom Votum “der Märkte”. Gerade die aktuelle parlamentarische Debatte in den USA zeigt deutlich, dass das einzige limitierende Kriterium zur Schuldenaufnahme die Politik selbst ist.

Gibt sie sich einen Rahmen, den sie nicht überschreiten will, so kann sie dies tun – einen zwingenden oder sachlogischen Grund hierzu gibt es nicht. Japan hingegen nimmt jedes Jahr aufs neue Schulden u.a. bei der eigenen Zentralbank auf und ist weit entfernt von einer Schuldenkrise – obwohl die Staatsverschuldung inzwischen 250% des BIP ausmacht.

Wenn man versteht, dass sowohl der Staat als auch die Zentralbank und die öffentlich-rechtlichen Banken zum staatlichen Sektor gehören, dann kann man sagen, dass sich der Staat bei sich selbst verschuldet. Wie sollte man sich so “überschulden” können?

Die Zinsen, die der Staat an die Zentralbank oder die öffentlich-rechtlichen Banken abführt, werden als Teil des Zinsüberschusses wieder an den Staat zurückgeleitet. Faktisch zahlt der Staat also netto keine Zinsen. Wenn man aber netto keine Zinsen zahlt, gibt es auch keinen Grund netto zu tilgen. Damit entfällt der Schuldendienst komplett, und streng genommen stellt sich die Frage, warum der Staat sich dann nicht ausschließlich so finanziert, sondern Steuern erhebt und Staatsanleihen ans Publikum ausgibt.

In der Tat sind die Steuern zur Finanzierung der öffentlichen Haushalte vollkommen unnötig. Ihr Sinn und Zweck ist es, lenkend in den Wirtschaftsprozess einzugreifen. Indem der Staat bestimmte wirtschaftliche Verhältnisse durch Steuererhebung verteuert und andere durch Förderung günstiger macht, kann er politisch wirken und gesellschaftspolitische Ziele befördern.

Will der Staat z.B. auf eine bestimmte Verteilung der Einkommen und/oder Vermögen hinwirken, so kann er dies durch Besteuerung erreichen. Hierbei gibt es aber keinen Grund anzunehmen, dass die Höhe der Steuern, die zur Erreichung dieser Ziele insgesamt abgeführt werden, notwendigerweise mit den hierzu erforderlichen Ausgaben deckungsgleich sein müssten oder sollten – im Gegenteil, das ist höchst unwahrscheinlich.

Da der Staat auf diese Einnahmen zur Finanzierung seiner Ausgaben überhaupt nicht angewiesen ist, gibt es rein sachlich auch überhaupt keinen Grund, warum sich der Staat in seinem Wirken von dieser Randbedingung in der Erreichung seiner Ziele behindern lassen sollte.

Neben der Erreichung gesellschaftspolitischer Ziele, dienen Steuern auch dazu, die Geldmenge im privaten Sektor gezielt zu reduzieren. Bildet sich bspw. in einem Sektor eine Blase, kann der Staat hier gezielt eingreifen und Geld abschöpfen; im Gegensatz zur Geldpolitik hat die Fiskalpolitik den Vorteil, dass sie sehr gezielt und selektiv eingesetzt werden kann.

Warum gibt der Staat nun aber Staatsanleihen aus, wenn er doch nicht darauf angewiesen ist?

Staatsanleihen sind entgegen den Unkenrufen eine absolut sichere Anlageform, wenn es sich der Staat gestattet, sich bei der Zentralbank zu finanzieren. Die Zentralbank kann per Definition nicht illiquide werden, und wer einen Financier hat, der nicht illiquide werden kann, kann es ebenfalls nicht. Der Staat kann seine Anleihen in seiner eigenen Währung immer bedienen. Wenn der Staat also dem Wirtschaftskreislauf Geld entziehen will, dann kann er zum einen Steuern erheben oder den Bürgern das Angebot machen, ihr Geld festzulegen, indem sie damit Staatsanleihen erwerben. Staatsanleihen sind also ein Anlageangebot des Staates und weniger ein notwendiges Finanzierungsmittel.

Entgegen der Vorstellung der klassischen Ökonomie ist der Staat kein “Fremdkörper”, der in “die Wirtschaft” eingreift, sondern er ist inhärenter Teil davon.

Im Gegensatz zu allen anderen Akteuren hat er dabei aber die Aufgabe, die Wirtschaftstätigkeit so zu gestalten, dass sie – zumindest in einer Demokratie – den gesellschaftlichen Zielen zuarbeitet. Die Annahme, dass das “en passant” von selbst passiert, wenn nur die “unsichtbare Hand” frei walten darf, hat sich wiederholt als Mythos herausgestellt. Gerade die letzte Finanzkrise hat gezeigt, dass es durchaus eines Akteurs bedarf, der bei Fehlentwicklungen aktiv eingreift. Das ist auch nicht unmoralisch oder anstößig, sondern gradezu Ausdruck einer demokratischen Willensbildung, wenn “die Märkte” in eine Richtung gelenkt werden, die geeignet ist, die sozialen und realen Ziele der Bevölkerung zu erreichen.

Der Staat darf Schulden machen, um gesellschaftliche Ziele zu realisieren, und er muss sogar Schulden machen, wenn die anderen volkswirtschaftlichen Sektoren – Unternehmen und Haushalte – Überschüsse erwirtschaften wollen. Wenn jemand mehr einnimmt als er ausgibt, muss konsequenterweise ein anderer entsprechend mehr ausgegeben als eingenommen haben. Die Überschüsse des einen sind also notwendigerweise die Defizite des anderen.

Wenn nun der private Sektor – bestehend aus Haushalten und Unternehmen – als Ganzes Geldvermögen (Forderungen) aufbauen will, indem die Ersparnisse oder Gewinne angelegt werden, muss auf der anderen Seite irgendjemand die entsprechende Verbindlichkeit in selber Höhe haben. Dies kann volkswirtschaftlich nur der Staat oder das Ausland sein. Da allerdings auch im Ausland die Haushalte sparen und die Unternehmen Gewinne machen wollen, verbleiben als volkswirtschaftliche Schuldner letztlich nur die Staaten.

Staatsschulden sind also nicht per se schlecht, sondern einfach die Kehrseite des Wunsches des privaten Sektors Geldvermögen aufzubauen.

Grundsätzlich könnte der Aufbau von Geldvermögen und Verschuldung auch innerhalb des privaten Sektors – ohne Staatsverschuldung – stattfinden; allerdings gilt auch hier, dass die Überschüsse des einen die Defizite der anderen sind. Sollen Unternehmen unter diesen Umständen also Gewinne machen (Überschüsse erwirtschaften), müssten sich die Haushalte in gleicher Höhe verschulden oder Ersparnisse abbauen (Defizite hinnehmen); umgekehrt wäre die Schuldenaufnahme durch die Unternehmen zwingende Voraussetzung für die Möglichkeit der Haushalte Geldvermögen aufzubauen – es ist wenig wahrscheinlich, dass dies immer gegeben ist.

Vor diesem Hintergrund muss die “Schuldenbremse” äußerst kritisch beurteilt werden, denn letztlich bedeutet sie nichts anderes, als dass grundlos bürokratische Regeln demokratischer Willensbildung vorangestellt werden, und dass die Vermögensbildung des Volkes behindert wird. Das ist unmoralisch und anstößig!

Die Fähigkeit des Staates prinzipiell unbegrenzt Geld in den Wirtschaftskreislauf einzubringen, ist natürlich immer mit der Möglichkeit des Missbrauchs verbunden, und es obliegt in einer Demokratie der Kontrolle des Souveräns darauf zu achten, dass dieses wünschenswerte und nützliche Privileg im Sinne und zum Nutzen des Volkes eingesetzt wird. Heute wird diese Kontrollfunktion “den Märkten” anvertraut – wohl in dem Glauben, dass diese besser als das Volk selbst in der Lage wären, dessen Willen umzusetzen – kurios!

Wir brauchen keine marktkonforme Demokratie, sondern demokratiekonforme Märkte.

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