Krankes Geld – Kranke Welt

Die westlichen Gesellschaften sind von der Droge billiges Geld weitgehend abhängig.Die Verwechslung von Mittel und Ziel in der Überhöhung des Geldes kann aber auch ein unzweifelhafter Hinweis auf den Verfall des Geldes oder des gesellschaftlichen Umgangs mit Geld sein. Eine Gesellschaft, die sich nicht mehr über die Ziele des Menschseins zu unterhalten weiß und in der Mehrung der Geldmittel ihre Zuflucht nimmt, ist zum Scheitern verurteilt. Sie lädt dem Geld eine Aufgabe auf, die es niemals zu erfüllen vermag.

Die Verwechslung von Mittel und Zweck am Beispiel der Arbeit

Die traditionelle Auffassung sieht in der Arbeit ein Mittel zum Zweck, wie bereits in der Einführung erwähnt wurde. Der Mensch erarbeitet sich seine Lebensmittel, um die Muße wirken zu können. Die Muße ist nicht mit dem Müßiggang, dem faulenzenden Nichtstun, zu verwechseln. Sie ist das kontemplative Sichöffnen auf die Welt, das Empfangen von Eindrücken und Eingebungen, die in der Hektik des Alltags einen Eingang in den Menschen finden können.

Diese für die abendländische Kultur prägende relative Unbedeutsamkeit des Mittels Arbeit erfuhr mit dem Aufkommen des Protestantismus und des Säkularismus eine entscheidende Umdeutung, die in der folgenden Aussage des Grafen Zinsendorf eingefangen wurde: „Man arbeitetet nicht allein, dass man lebt, sondern man lebt um der Arbeit willen.“ Max Webers psychologische Definition des Kapitalismus in seiner nach wie vor aktuellen Studie „Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus“ bekräftigt diese veränderte Aufgabenzuschreibung. Das Leitmotiv einer kapitalistischen Wirtschaftsordnung beschreibt er wie folgt: „Der Mensch ist auf das Erwerben als Zweck seines Lebens, nicht mehr das Erwerben auf den Menschen als MIttel zum Zweck der Befriedung seiner materiellen Lebensbedürfnisse bezogen.“ Die ehemals als notwendiges Übel erduldete körperliche Arbeit wird überhöht. Sie wird zum Maß aller Dinge.

Einen wichtigen Grund für die fundamentale Verwechslung von Mittel und Ziel beleuchtet Viktor Frankl. Die Flucht in die Arbeit, so Frankl, weist auf eine „innere Inhaltsleere“, ein „existenzielles Vakuum“ hin. Dieses Vakuum soll die Arbeit füllen, wozu sie aber nicht imstande ist:

„…, in solchen Fällen mangelt es an einem Lebenssinn und dadurch wird entweder die Arbeit zum Selbstzweck oder aber auch das, was die Arbeit einbringt, nämlich das Geld. Die Leute haben etwas, von dem sie leben können, aber sie haben nichts mehr, für das sie leben könnten. Sie haben Geld, aber ihr Geldhaben hat eigentlich keinen Sinn mehr.“

In der Erhöhung des Geldeinkommens und der damit verbundenen Anhäufung von „Lebensmitteln“ (Konsum- bzw. besser gesagt Kommerz-Gütern nach Auffassung des Autors) sehen viele Menschen eine Möglichkeit, das beklemmende Gefühl der Sinnleere erfolgreich zu bekämpfen.  Die Abwendung von den menschengemäßen Lebenszielen durch die überbetonende Hinwendung zu den „Lebensmitteln“ spielt der Inflationierung, die scheinbar die realen Mittel ausweitet, tatkräftig in die Hände. Mit der Überhöhung des Mittels Arbeit zum Selbstzweck geht die Degradierung der vormaligen Ziele einher. Seit Menschengedenken waren die letzten Ziele aller Gesellschaften religöser und philosophischer Natur. Die kultische Ehrerbietung und das Streben nach dem Schönen, Wahren und Guten prägten das Leben. Nun wird der Arbeit oder dem Geld als monetärer Ausdruck der Arbeitsproduktivität gehuldigt, und das gesamte Leben beginnt sich am Arbeitsleben zu orientieren. (und noch schlimmer zunehmend am parasitären ‚Arbeitsleben‘, womit der Autor des blogs nicht die soziale Hängematte meint – sondern das arbeitslose Einkommen spekulativen Kapital-Vermögens;) Der deutsche Philosoph Joseph Pieper macht uns in „Muße und Kult“ darauf aufmerksam, dass die Arbeit in der modernen Welt auch die Zeiträume der Nichtarbeit durchdringt. Die Freizeit beschreibt jenen Zeitraum, der nicht dem Erwerbsleben gewidmet ist, der dazwischen liegt, ohne die Arbeit aber nicht sein kann. Die Freizeit ist ebenso verzweckt, dem Prinzip des Um-Zu unterworfen. Wie die Feier oder eine Freundschaft steht die Muße hingegen für sich selbst. Sie ist in dem Sinne überflüssig, als sie keinem anderen Zweck dient. Aber gerade durch diese geordnete Selbstbezogenheit sticht sie aus dem mitunter als grau und eintönig empfundenen Alltag hervor.

In Folge der Überhöhung der Mittel obsiegt das quantitative Mehr über das qualitative Bessere, das Anhäufen von materiellen Gütern über die vertiefende Qualitätsverbesserung; das anonyme Massenprodukt  über das persönliche Einzelstück, das rationalistische ‚Um-Zu‘ des Verzweckens über das geordnete Dasein der Dinge. Hegungsräume, die sich diesem Nutzendenken entziehen wollen, wie die Schule, die Erziehung, die Feier, die Freundschaft und die Ehe geraten unter erheblichen Druck. Sie müssen ihre Daseinsberechtigung über ihre ökonomische Leistungsfähigkeit rechtfertigen.

Die Brücke von der Ökonomie in die Ethik schlägt uns der Begriff des Wertes. Er nimmt sowohl in der Morallehre als auch in der ökonomischen Theorie eine zentrale Rolle ein. Die klassische Tugendlehre, wie von der griechischen Antike überliefert und vom Christentum vertieft und um die göttlichen Tugenden der Liebe, des Glaubens und der Hoffnung erweitert, erkennt, dass die Tugendhaftigkeit – die inneren Güter – dem Erwerb von materiellen Gütern – den äußeren Gütern – vorausgeht und vorrangiges Ziel menschlichen Strebens sein soll. Diese Einsicht formulierte Sokrates in seiner Verteidigungsrede, in der er sich mahnend an die Athener richtet: „Denn, so lautet meine Rede, nicht aus Reichtum geht die Tugend hervor, sondern aus der Tugend der Reichtum und alle anderen menschlichen Güter im persönlichen wie im öffentlichen Leben.“ Sokrates sieht also den materiellen Wohlstand als etwas Zweites an, der dem tugendhaften Leben folgt. Wer tugendhaft lebt, hat nicht nur ein innerlich erfülltes Leben, sondern lebt ein im umfassenden Sinne reiches Leben.

Die Tugendethik weithin verdrängt hat in den letzten Jahrhunderten allerdings der Utilitarismus. Dieser definiert die Maximierung des Nutzens bzw. der Annehmlichkeit als höchste Regel menschlicher Sittlichkeit. Gut ist demnach nicht das, was in sich wesentlich gut ist, sondern was – salopp formuliert – Spaß macht und geschäftlich nützt, wie Jeremy Bentham, einer der wichtigsten Vordenker des Utilitarismus, das Nutzenprinzip definiert:

„Mit dem Prinzip des Nutzens ist das Prinzip gemeint, das jede beliebige Handlung gutheißt oder missbilligt entsprechend ihrer Tendenz, das Glück derjenigen Partei zu erhöhen oder zu vermindern, um deren Interessen es geht … Mit ‚Nutzen‘ ist diejenige Eigenschaft einer Sache gemeint, wodurch sie zur Schaffung von Wohlergehen, Vorteil, Freude, Gutem oder Glück tendiert.“

Eine utilitaristische Grundhaltung begünstigt die Hervorbringung von Scheinwerten. Nach der klassischen Tugendlehre ist dem Menschen die Anlage zur Tugendhaftigkeit wesensgemäß. Sie muss jedoch geübt werden, bis aus einer in sich noch nicht gefestigten Neigung eine beständige und standhafte Haltung, eine feste Gewohnheit geworden ist. Der wahrhaft Tugendhafte will gar nicht mehr anders handeln. Der Utilitarist sieht hingegen im tugendhaften Handeln keinen Eigenwert mehr. Er handelt dann, und nur dann klug, gerecht, tapfer, maßvoll, wenn dieses Handeln einen Nutzen stiftet. Zudem, und für unsere Diskussion bedeutsam, gibt sich der Utilitarist, wann immer es möglich ist, mit dem Anschein der Tugendhaftigkeit zufrieden, wie Max Weber brilliant ausführt:

„…dass, wo z.B. der Schein der Ehrlichkeit den gleichen Dienst tut, dieser genügen und ein unnötiges Surplus an dieser Tugend als unproduktive Verschwenung […] verwerflich erscheinen müsste. […] – eine für den strikten Utilitarismus in der Tat unentrinnbare Konsequenz.“

Für den Utilitaristen ist folglich als Regel nutzenmaximierend, einen Käufer mit einer prächtigen Verpackung zu blenden, sofern die Aufpolierung der Verpackung die Gesamtkosten reduziert, weil gleichzeitig die Qualität des Inhalts gemindert werden kann. … Im Lauf der Zeit verabschiedet sich eine utilitaristische Gesellschaft von der Realität und gleitet in eine Scheinwelt ab. Die Verpackung hat gar nicht mehr den Anspruch, die repräsentative Außenhaut eines wertvollen Inhalts zu sein. Die Verpackung ersetzt zunehmend den Inhalt, wie die Verfallsgeschichte des Geldes meisterhaft illustriert. Ursprünglich war der Geldschein als Banknote der Stellvertreter für eine tatsächlich existierende Münze – meist aus Silber oder Gold. Mit der Aufhebung der Einlöseverpflichtung wurde die Banknote zum Papiergeld, das nur mehr den Anschein einer realen Deckung wahrt und so lange akzeptiert wird, wie die Menschen sich mit dem Schein zufriedengeben. „Sich mit dem Schein zufriedengeben“ ist hier eine äußerst aufschlussreiche Doppeldeutigkeit.

Aus dieser Perspektive betrachtett sind die monetären Scheinwerte ein Spezialfall einer wet breiter gefassten Grundentscheidung der Gesellschaft, sich mit Scheinwerten zu genügen und nicht die Realität, wie sie sich uns offenbart, anzunehmen. Auf dem sandigen Fundament einer Scheinwelt ist demnach kein Vermögen dauerhaft vor dem Totalverlust sicher. Eine nachhaltige Vermögenssicherung darf sich daher nicht nur der Sicherung von Werten im engen, monetär-materiellen Sinne verschreiben. Die Auseinandersetzung muss deutlich tiefer gehen. Dafür sollten wir uns reichlich Zeit nehmen, gerade in Zeiten der Wirtschaftskrise.

Text von Gregor Hochreiter – Gründer des Instituts für Wertewirtschaft mit Sitz in Wien.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.